"Europa darf seine Grundwerte nicht opfern". Unter diesem Titel richtet Joschka Fischer, der ehemalige deutsche Grünenschef und Außenminister, einen dringenden Appell an die Leser des Standards (Der Standard vom 2.10.2015, Seite 39 bzw. im Web: http://derstandard.at/2000023093161/Europa-darf-seine-Grundwerte-nicht-opfern).
J. Fischer fasst die brutale Lage in Syrien zusammen und bemerkt, dass Europa auf diesen Exodus von Flüchtlingen nicht vorbereitet war. Quasi über Nacht sei Europa aus dem Schlaf aufgeweckt worden und mit der Realität konfrontiert worden, die bis dahin erfolgreich ausgeblendet worden sei. Plötzlich landen die Flüchtlinge nicht nur im Süden Italiens oder Griechenland, sondern mitten im Herzen Europas. Denn das so genannte Dublinabkommen enthält keinen Mechanismus zur Verteilung der Flüchtlinge und der Ruf nach Solidarität verhallte ungehört.
Er fordert daher ein neues System zur Sicherung der EU-Außengrenzen und eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge sowie ein gemeinsames Verfahren zur Anerkennung oder auch Nichtanerkennung.
Darüber hinaus warnt Fischer vor der Gefahr, dass durch die Flüchtlingskrise, nationalistische und populistische Parteien verstärkt Zulauf bekommen und sieht eine Form von Renationalisierung auf Europa zukommen. Die Renationalisierung sei aber nicht erst seit der Flüchtlingskrise zu bemerken. Es ginge also darum, so hält J. Fischer fest: "Wird der Kontinent in den Nationalismus zurückfallen oder am gemeinsamen Europa festhalten?"
Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die Frage der Werte Europas kommt vor allem auch in einem anderen Zusammenhang auf, nämlich wie integrieren wir tausende Menschen, die aus einem anderen Kulturkreis kommen.
Die Tücke ist leider in den letzten Jahren darin zu sehen, dass es kaum eine vernünftige Diskussion gibt, ohne dass entweder die Keule des Rassismus oder die Keule des "Gutmenschen" geschwungen wird. Ein Mittelding gibt es kaum.
Die neueste Forderung von Außenminister Kurz, dass Werte zu vermitteln seien, klingt natürlich ein wenig seltsam, wenn in der eigenen Partei Werte nur dann zu gelten scheinen, wenn sie gerade passen. Gleichberechtigung von Mann und Frau gilt nur dann, wenn es nicht gerade die Bündezugehörigkeit stört.
Dennoch ist die Forderung nach Wertevermittlung nicht unberechtigt und sollte nicht bloß in Richtung Flüchtlingen gedacht werden, sondern auch in Richtung von Österreicherinnen und Österreichern.
Natürlich stellt sich sofort die Frage, welche Werte? Und wo kommen diese Werte her, wie werden sie begründet, denn vom Himmel fallen sie nicht und was einst galt, gilt heute nicht mehr und umgekehrt.
Jahrhunderte lang wüteten in Europa Konfessionskriege, mussten Menschen auf Grund ihres Glaubens ihre Heimat verlassen, wurden benachteiligt im gesellschaftlichen Leben. Inquisition, Hexenverbrennung reichte weit in die Neuzeit.
Erst mit der Aufklärung gelang es langsam diese religiösen Auseinandersetzungen und Machtansprüche zurückzudrängen. Friedrich der Große, König von Preußen verkündigte schließlich, jeder möge nach seiner Façon selig werden, und Josef II. erließ das Toleranzpatent, was zumindest zu einer Duldung der Minderheiten führte. Eine Gleichberechtigung ließ noch einige Jahrzehnte auf sich warten. Im 19. Jahrhundert wurde Religion zur Privatsache, wobei die Kirchen gesellschaftliche Aufgaben wahrnahmen und wahrnehmen, jedoch keine Monopolstellung einnehmen.
Das Godesberger Programm der SPD in Deutschland formulierte daher, dass egal aus welchen Motiven heraus alle eingeladen seien, am demokratischen und sozialen Fortschritt mitzuarbeiten. Ähnlich wie Bundeskanzler Kreisky einige Jahre später einlud, ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen. Christen können sich daher in der sozialdemokratischen Partei wiederfinden, wie auch Nicht-Christen durch aus in einer christlichen Partei mitwirken können, da es ja um den Ausbau der Demokratie, das Gestalten der Gesellschaft auf Grund von gemeinsamen Grundsätzen eines demokratischen Staates geht.
Auf Grund der Einwanderung schon seit den 60iger Jahren von Menschen mit muslimischen Glauben und jetzt erst recht durch den Zustrom von Flüchtlingen aus muslimischen Ländern, wird natürlich die Frage virulent, wie der Islam in Europa ankommt.
Auf der einen Seite ist es dumm, von der Verteidigung des christlichen Abendlandes zu reden, denn der moderne Staat kam erst mit der Aufklärung und der französischen Revolution langsam ins Blickfeld.
Auf der anderen Seite müssen Ängste aber auch wahrgenommen werden und nicht sofort unter Rassismus abgebucht werden. Darüber hinaus ist die Feststellung, man habe in Europa nicht die Religion als alles bestimmend überwunden, um heute von Seiten des Islams wieder mit überwunden Geglaubten ständig konfrontiert zu werden, nicht von der Hand zu weisen.
Die Gefahr, von der einen Seite als Gutmensch verunglimpft zu werden und von der anderen Seite als Rassist oder als intolerant verdächtig zu werden, ist natürlich gegeben und groß. Dennoch wird man nicht umhin kommen, diese Diskussion zu führen.
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