"Schlechtes Abschneiden" bei der so genannten PISA-Studie ließ und lässt nach wie vor eine gewisse hektische Betriebsamkeit in der Bildungspolitik entstehen.
Grundsätzlich könnte man sich auf der "schlechten" Ergebnisse überlegen, ob das Schulsystem noch up to date ist, ob nicht zu viel Geld in die Schulverwaltung fließt usw.
Ob es nun der Einfachheit halber oder aus wirtschaftlichen Interessen, mag erst einmal dahin gestellt sein, aber man stürzt sich lieber auf Bildungsstandards, Kompetenzen etc. und hofft hiermit das schlechte Abschneiden der Schülerinnen bei den PISA-Tests aufzufangen,
Indirekt findet sich in der Ausgabe von PROFIL (Nr, 46 v.11.11.2013, S. 8f) ein Leserbrief über den rasanten Aufschwung Südkoreas zum Thema PISA. Martina Scheuringer stellt fest, dass sich Südkorea an zweiter Stelle der letzten PISA-Ergebnisse befand, aber dass wohl der Hauptgrund der vielen Selbstmorde das "rigide und ultrakompetitive Bildungssystem" sei.
M. Scheuringer hält fest: "Bildung heißt vor allem auch kritisches, eigenständiges und kreatives Denken, Selbstreflexion, Hinterfragen des Gegebenen (wofür eine südkoreanische Schülerin wohl gar nicht mehr die Zeit hat) - davon ist in Bildungsdebatten kaum mehr die Rede."
In der Tat ist die Frage: Soll man gebannt wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen und auf PISA starren oder ist es nicht viel eher sinnvoll einmal zu fragen, wo das derzeitige Bildungssystem die Allgemeinbildung aus den Augen verliert und sich wirtschaftlichen Interessen unterwirft, wo das derzeitige Bildungssystem soziale Ungerechtigkeiten fortführt etc.
Sonntag, 10. November 2013
Donnerstag, 13. Juni 2013
Wirtschaft und Ethik
Wirtschaft und Ehtik - (k)ein Widerspruch?
Der Philosoph Adam
Smith (1723-1790) gilt als der Begründer der modernen Nationalökonomie und war
ein Verfechter des Wirtschaftsliberalismus. Er wandte sich gegen
Handelsbeschränkungen, Zunftwesen und Monopol- bzw. Kartellbildungen. Der
allgemeine Wohlstand gründet sich in der individuellen Arbeit und auch in der
Kooperation der Menschen. Grundsätzlich entwickelt Smith eine Art von
Gesellschaftstheorie, die höchst modern erscheint. Eine seiner ethischen
Hauptfragen zielt auf das individuelle oder gesellschaftliche Glück. Seine
These ist: Wenn das individuelle Glück gefördert und erstrebt wird, dann wird
quasi wie durch eine „unsichtbare Hand“ auch das allgemeine Wohl und Glück
verbreitet.
Diese These von der
unsichtbaren Hand ist die bekannteste These von Smith und bedeutet auch, dass
der Staat bei Smith kein eigenes Interesse haben, sondern nur die
Rahmenbedingungen vorgegeben darf, deren Definition aus dem 20. und nicht aus
dem 18. Jahrhundert zu stammen scheinen. Die Aufgaben des Staates bestünden nur
in der Landesverteidigung, polizeiliche Aufgaben zum Schutz des Menschen und
des Eigentums sowie Aufgaben, die privat nicht übernommen werden können. Zu
letzterem zählen z.B. die Bildung und das Transportwesens.
Dennoch gab es jedoch
auch bereits zur Zeit von Adam Smith das Problem, dass es ein Einkommensgefälle
zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gab. Smith versuchte dies dadurch zu
erklären, dass die Arbeitgeber eine kleine Gruppe darstellen, die sich leichter
gegen die große Gruppe der Arbeitnehmer durchsetzen kann. Den tatsächlichen
Frühkapitalismus, der durch die Erfindung der Dampfmaschine eingeleitet wurde,
hat Adam Smith nicht mehr erlebt.
Das 19. Jahrhundert
zeigte den Wirtschaftsliberalismus und Frühkapitalismus von seiner schlimmen
Seite. Massenverelendung, Kinderarbeit, hygienisch katastrophale Zustände,
unwürdigste Lebens- und Wohnverhältnis u.v.m.
Auf diese Verelendung
der Massen wurde unterschiedlich reagiert. Auf kirchlicher Seite war die
Antwort eher ein individuelles
Engagement. Hier sind vor allem Namen wie Friedrich von Bodelschwingh der
Ältere sowie der Jüngere, Bethel, Johann Hinrich Wichern, Hamburg, Martin Boos,
Gallneukirchen, Elvine Gräfin de la Tour, Waiern und viele andere zu nennen,
die jeweils unterschiedliche Zielgruppen hatten.
In England zeigte
sich die Verelendung in den Städten dramatisch. In London gründete daher
William Booth die Heilsarmee, die straff militärisch organisiert, zu den
Menschen gehen sollte. Dank Catherine Booth baute die Heilsarmee auf
Gleichberechtigung von Mann und Frau auf.
Dieses Engagement von
Persönlichkeiten kritisierte zwar die herrschenden Strukturen, aber es gab
keine grundsätzliche Theorie der Wirtschaft, sondern christliches Engagement
bewegte sich im karikativen Bereich getragen von einzelnen Persönlichkeiten.
Eine völlig andere
Antwort fand Karl Marx (1818-1893). In seinem Hauptwerk „Das Kapital“
entwickelte er eine Gesellschaftstheorie, die die Kritik der politischen
Ökonomie, die Kritik des Kapitals als Ware, die Kritik der Produktions- und
Besitzverhältnisse bis zur Kritik der bürgerlichen Ökonomie reichte. Die Lösung
sah Karl Marx' in einem wissenschaftlichen Sozialismus, der die bestehende
Gesellschaftlich umstürzt. Bourgoisie und Arbeiterschaft stehen sich
unversöhnlich gegenüber. Diese kann nur durch eine Revolution überwunden
werden. Das Proletariat müsse die Macht übernehmen, die Produktionsmittel
müssen enteignet werden. Ziel ist eine klassenlose Gesellschaft, die allerdings
recht vage beschrieben wurde.
Schon in den
Frühschriften von Marx findet sich die berühmt gewordene Aussage, Religion sei
Opium des Volkes. Marx will damit sagen, dass die ökonomischen Verhältnisse die
Menschen dazu veranlasst sich der Religion zuzuwenden, um sich von den ökonomischen
Verhältnissen abzulenken und sich zu betäuben. Lenin wird später diesen Satz zu
„Opium für das Volk“ verändern. Der Staat benutze die Religion, die Menschen zu
benebeln. Lenin hatte natürlich die besonders enge Beziehung zwischen
russ.-orth. Kirche und dem Zarenhaus vor Augen.
Karitatives
Engagement bleibt ein wesentliches Element, sich um (Rand-)Gruppen in der
Gesellschaft zu kümmern. Diakonie und Caritas und andere
Wohltätigkeitsorganisationen haben sich aber zu Organisationen entwickelt, die über
individuelles Helfen hinaus auch gesellschaftskritische Aufgaben übernommen
haben. Monopolbildung im Bereich der Wohltätigkeitsorganisationen wäre – hier
kann man wieder Adam Smith folgen – nicht im Sinne des Allgemeinwohls.
Die
Gesellschaftsanalyse von K. Marx ist weitgehend überholt. Die Weiterentwicklung
des so genannten Marxismus führte zu den bekannten Folgen und kann wohl als
gescheitert angesehen werden, auch wenn Teilaspekte der ökonomischen Theorie
durchaus auch heute noch diskutierenswert sein mögen.
Die ökonomischen
Bedingungen haben sich verändert. Die Einteilung in Proletariat und Kapitalist
stimmt so nicht mehr. Vor allem die soziale Marktwirtschaft hat nach dem
zweiten Weltkrieg in Europa zu ungeahntem Wohlstand geführt.
Dennoch ist dieser
Wohlstand nicht für alle Menschen erreicht worden und die Globalisierung führt
weltweit zu den so genannten Globalisierungsverlierern.
Angesichts der
Finanzkrise, Korruption, wirtschaftliche Beziehungen zu zweifelhaften Regimen
lassen heute wieder verstärkt vermuten, dass Wirtschaft und Ethik schwer
zusammen zu bringen ist. Im Finanzsektor wird wieder spekuliert, als hätte es
keine Finanzkrise gegeben. Das Profil (Nr.11, 14.3.2011) vermutet, dass
Österreich zu einem „Selbstbedienungsladen“ geworden ist, in dem zumindest ein
„verschworener Zirkel“ nicht so sehr das Wohl Österreichs, sondern die eigene
Tasche im Auge gehabt hätte. Auch in internationalen wirtschaftlichen
Beziehungen wurden und werden Regime hoffiert, die ihre Bevölkerung unterdrücken,
ausbeuten oder , wie das Beispiel Libyen zeigt, rücksichtslos auf die eigene
Bevölkerung los schlägt, wenn die Throne der Machthaber zu schwanken beginnen.
Natürlich sind
Korruption und Steuerbetrug verboten. Hier ist es jedoch die Frage, inwieweit
die entsprechende Verfolgung durch staatliche Behörden ermöglicht wird und
möglich ist, inwieweit eine europäische oder gar internationale Zusammenarbeit
der Behörden stattfindet. Bankgeheimnisse, nationale Auskunftsresistenz machen
die Ermittlungen durchaus nicht einfach.
Das Spekulationswesen
ist eines der Hauptgeschäfte im Finanzsektor geworden. Spekulationen auf
Lebensmittel führen zur Verteuerung und Verknappung von Lebensmitteln, die vor
allem die Ärmsten der Armen treffen. Hochseeflotten der großen Industrienationen
fischen die Gewässer leer und entziehen den Menschen in ärmeren Gegenden ihre
Lebensgrundlage. Überproduktionen in den Industrieländern, die nach Afrika
billig verkauft werden, zerstören einheimische Betriebe. Preisdiktate zerstören
die Wirtschaft ganzer Länder. Verlagerung von Arbeitsplätzen in so genannte
Billiglohnländer haben hier und da Probleme gebracht.
Grundsätzlich liegt
also der Verdacht nahe: Ethik und Wirtschaft schließen einander aus. Dennoch
gibt es unzählige Literatur über Wirtschaft und Ethik und die Konzerne,
die Politik bringen selbst Ethik und
Wirtschaft in Zusammenhang.
„Sustainability beziehungsweise Nachhaltigkeit: Hierauf gründet unser Werteverständnis. Eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete unternehmerische Verantwortung ist tragendes Element unserer Unternehmensstrategie. Profitables und langfristiges Wachstum ist unser Ziel, eine verantwortungsvolle Wertschöpfung unser Weg dorthin.“ (Siemens Österreich).
Ebenso betont die OMV das Nachhaltigkeitsinteresse des
Konzerns.
Kein Betrieb und kein
Konzern kann inzwischen auf einen so genannten Code of Conduct verzichten, in
dem der Umgang mit den Shareholdern und Stakeholdern, d.h. mit Aktionären und mit den MitarbeiterInnen,
mit den Kunden, aber auch mit denen, die irgendwie vom Handeln des Betriebs
oder Konzerns direkt oder indirekt betroffen sind, unter ethischen und
nachhaltigen Aspekten geregelt wird.
Hier ist offenbar
seit einigen Jahren ein Umdenken eingetreten. Offenbar hat sich die Erkenntnis
durchgesetzt, dass langfristiger Erfolg auch etwas mit Nachhaltigkeit und Ethik
zu tun haben könnte. Selbstverständlich ist nicht nur Papier geduldig, sondern genauso
sind es wohl auch elektronische Seiten. Umso mehr ist es notwendig, darauf zu
achten, inwieweit die angekündigten Verhaltensweisen transparent und
überprüfbar sind.
Bereits 1972 hat der
amerikanische Wirtschaftswissenschaftler J. Tobin eine Finanztransaktionssteuer
eingefordert, die kurzfristige Währungsspekulationen eindämmen könnte. Erst 29
Jahre später hat sich das europäische Parlament durch gerungen, eine Steuer
dieser Art zu beschließen, die nun allerdings erst von den europäischen Staaten
eingeführt und umgesetzt werden muss. Ob man sie nun Tobinsteuer oder
Transaktionssteuer nennt, sie ist auf jeden Fall für Globalisierungskritiker
ein Mittel, um Währungsspekulationen zu begrenzen, die so manche
Volkswirtschaft in Schwierigkeiten bringen. Die noch weiterführende Frage ist
allerdings, ob nicht Spekulation auf Lebensmittel grundsätzlich verboten werden
müsste.
Doch kommen wir noch
einmal zurück auf Adam Smith. Er forderte, dass der Staat sich weitgehend aus
der Wirtschaft zum Eigennutz heraushält, aber Regeln vorgibt und in zentralen Bereichen seine
Verantwortung übernimmt. Damit ist Smith, abgesehen davon, dass er viele Dinge
nicht voraussehen konnte und auch nicht mehr erlebt hat, ein fast moderner
Denker im Zusammen von Ökonomie und Ethik.
Folgt man den
Gedanken von Smith heute, so lässt sich nicht sagen, dass es auf der einen
Seite die bösen Wirtschaftstreibenden, die bösen Banker, die Ausbeuter gäbe und
auf der anderen Seite das leidende Volk, die Ausgebeuteten usw., sondern es
gibt die verantwortungsvollen Banker und es gibt die verantwortungslosen
Banker, die verantwortungsvollen Manager und die verantwortungslosen Manager usw.
A. Götzelmann
(Götzelmann, 68 ff) spricht von zwei unterschiedlichen Theorien, die die Frage
nach der Unternehmensethik beantworten: auf der einen Seite die
Shareholdertheorie, auf der anderen Seite die Stakeholdertheorie.
Geht man einmal davon
aus, dass in den Firmen verantwortungsvolle Personen tätig sind, die im Rahmen
der gesetzlich vorgegebenen Bedingungen und auch den internationalen Vorgaben
z.B. der OECD gehorchen, so stelle sich dennoch die Frage, wer das Objekt der
Unternehmensethik sei. Die Shareholdertheorie besage nun, dass alle
MitarbeiterInnen einer Aktiengesellschaft ausschließlich dem Eigentümer gegenüber verantwortlich seien.
Götzelmann weist auf den liberalen Ökonomen Milton Friedmann hin, der die
einzige Aufgabe eines Unternehmens darin sieht, so viel Gewinn wie möglich zu
machen und eine soziale Verantwortung der Unternehmen ablehnt. Allein der
wirtschaftliche Erfolg eines Betriebes trage zum Wohlstand der Gesellschaft
bei.
Die
Stakeholdertheorie geht hingegen davon aus, dass alle, die irgendwie von dem
Handeln des Betriebs betroffen sind, die Objekte des ethischen Handelns sind.
Damit werden, so Götzelmann, auch die Shareholder zu Stakeholdern. Die Natur,
die Tiere, die Umwelt kommen ebenfalls in den Blickpunkt und sind Objekte des
ethischen Handelns.
Selbstverständlich
sind die Interessen der verschiedenen Stakeholder unterschiedlich und es kann
zu Konflikten kommen. Hier kommt es darauf an, dass das Unternehmen
entsprechendes „Stakeholdemanagement“ besitzt, das Konflikte, Interessensgegensätze
etc. „in ethischer Perspektive“ löst. Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit,
Menschenwürde, Menschenrechte auf der Basis des geltenden Rechts seien dabei
die Kriterien, die den Umgang mit den Stakeholdern regelt (Götzelmann, 71). Die
Zielgruppen des ethischen Handelns fasst die Stakerholdertheorie sehr weit.
Viele Unternehmen
geben sich heute sozial, umweltbewusst, demokratisch. Doch entsprechen die
Ankündigungen und Absichtserklärungen der Realität? Wenn soziale Aktivität in
keinem Verhältnis zur Größe des Unternehmen steht oder Umwelt bewusstes Handeln
auf einem Nebengleis geschieht, dann dient die Absichtserklärung wohl eher der
Besänftigung der Stakeholder oder der Public Relation und gerade nicht den
Betroffenen.
Damit bekommt die
Öffentlichkeit eine Rolle zugesprochen, die durchaus auch entsprechende Macht
besonders im Zeitalter der elektronischen Medien und sozialen Netzwerken wie
Facebook, Twitter und anderen hat. Bereits 1995 gelang es durch öffentliche
Mobilisierung und einem 50%igen Umsatzeinbruch an deutschen Tankstellen den
Konzern Shell zu bewegen, eine ausrangierte Ölplattform nicht in der Nordsee zu
versenken, sondern an Land zu entsorgen.
Gerade im Zeitalter
der Globalisierung spielt die Verantwortung der Öffentlichkeit daher eine besonders
große Rolle, da verbindliche Regeln schwer für alle und überall aufzustellen
sind. Die Versuchung in Ländern ohne verbindliche Regel aus welchen Gründen
auch immer, Standards zu unterschreiten ist groß, da nicht davon ausgegangen
werden kann, dass der Mitbewerber die Regeln einhält, sondern sich einen
Vorteil verschaffen könnte, in dem die Standards nicht eingehalten werden. Nur
Transparenz und genaues Beobachten können verhindern, dass der Code of Conduct,
die Nachhaltigkeit, die Menschenrechte, das soziale Engagement nicht nur auf
dem Papier stehen, sondern eine wesentliche Ausrichtung des Konzerns ist. Viele
Unternehmen sind sich aber durchaus bewusst, dass Ökonomie und Ethik sich nicht
ausschließen, sondern ergänzen und sich für den Konzern langfristig bezahlt
macht.
Literatur:
A. Götzelmann,
Wirtschaftsethik Workshop kompakt. Ein Studien- und Arbeitsbuch in die
ökonomische Ethik, Norderstedt 2010
Marx-Engels-Werke,
Berlin 1977
A. Smith, Wohlstand
der Nationen, hrsg, von H. Schmidt, 2009
17.3.2011
Montag, 6. Mai 2013
„Wahrlich du bist auch einer von denen, denn deine Sprache verrät dich“ (Mt 26,73)
Neoliberalismus und Sprache
Ob es nun eine galiläische Dialektvariante oder ob es
eine bestimmte Redeweise war, ist nicht überliefert, aber die Sprache war bei der dritten Verleugnung des Petrus
ein Indiz, dass er zu den Anhängern Jesu gehörte.
Sprache ist verräterisch. Es lässt sich in der Regel kaum
leugnen, woher jemand kommt, welche Bildung jemand genossen hat, welcher
Gesellschaftsschicht jemand angehört, welchen Ideen jemand anhängt. Natürlich
ist es nicht immer eindeutig, regionale Herkunft erschließt sich nicht jedem
und immer. Gesellschaftlicher Status muss nicht immer der Sprache entsprechen.
Dialektfärbung kann auch bewusst eingesetzt werden, um Volksnähe zu
demonstrieren und umgekehrt sprechen Menschen auch hochdeutsch, die in der
Kindheit und Jugend mit Dialekt aufgewachsen sind.
Das gilt nicht allein in der deutschen Sprache, sondern
wohl in den meisten anderen Sprachen auch. Ein besonders interessantes Beispiel
war die vor Jahren im Fernsehen ausgestrahlte Serie „Das Haus am Eaton Place“,
das in der Originalfassung „Upstairs, downstairs“ hieß. Upstairs wurde die
Diplomatensprache des 19. Jahrhunderts, downstairs die Umgangssprache des
Personals gesprochen. Diese Feinheiten kamen in der Synchronisation kaum zum
Ausdruck. In der Sprache Felix Krulls von Thomas Mann ist schon auf der ersten
Seite der Hochstapler zu erkennen.
Besonders spannend ist der Wandel der Sprache. Sprache
unterliegt ständiger Veränderungen. Wörter gehen verloren, neue Wörter tauchen
auf. Wörter verändern ihre Bedeutung. Die „frouwe“ im Mittelalter entsprach der
Herrin, das „wîp“ der Frau heute. Deshalb hieß es im Mittelalter: Das
wîp sei die frouwe im Hause, was übersetzt heißt: Die Frau sei die Herrin im
Haus und heutzutage auch nicht mehr gendergemäß ist.
Veränderungen der Sprache ist ständig zu erkennen und
diese Veränderung der Sprache betrifft alle Seiten des Lebens, so natürlich
auch das gesellschaftliche Leben, die Politik, die Ökonomie, ja auch die
Bildung.
Gerade im Blick auf die Bildung bzw. auf die
Bildungspolitik oder Konzepte zur Bildung hat sich in den letzten 20-30 Jahren
eine Veränderung der Sprache ergeben, die nicht ganz unproblematisch ist, denn
spricht man in der Ökonomie vom Neoliberalismus (der möglicherweise auch schon
wieder dem Ende zugeht), so haben sich – wird hier einmal behauptet - in die
Bildung neoliberale Ideen und Sprachmetaphern quasi eingeschlichen.
Der römische Philosoph Seneca (*ca. 1, † 65 n.Chr.)
beklagte einst in den epistulae morales ad Lucilium 106, 12: „Non vitae sed
scholae discimus“ (Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir). Es
war eine heftige Kritik an den damaligen Philosophenschulen, in denen man nach
Senecas Meinung wenig Ertragreiches für das Leben lernte, sondern sich in
philosophischen Reflexionen mehr oder weniger zum Selbstzweck erging. Irgendwann
wurde das Zitat umgedreht „Nicht für die Schule lernen wir, sondern für das
Leben“. Damit wurde das Zitat zum Programm für die Bildungskonzepte bis heute.
Doch stellt sich die Frage, ob die Senecakritik und die
Verdrehung des Zitates zum Bildungsprogramm heute noch gelten darf und ob
Andreas Düllick nicht recht hat: „(Es) wundert sich der Frühgeborene heute
immer wieder, wenn selbst Abiturienten unseren alten Johann Wolfgang nicht mehr
kennen. Stattdessen brillieren sie mit „Faktenwissen“ aus der Lindenstraße oder
können ganze Textpassagen der Kinderband „Tokyo Hotel“ auswendig. Dafür haperts
dann wieder kräftig bei Mathe: Viele Konzerne oder Handwerksbetriebe beschweren
sich immer wieder darüber, dass die Ausbildungsplatzsuchenden nicht mal Eins
plus Eins zusammenrechnen könnten. Ganz genau rechnen können sie allerdings,
wenn’s um das eigene Taschengeld geht. Da stellt sich dann doch wieder die Frage,
ob die klassische Bildung – auch in der Schule – mit dem Auswendiglernen von
Gedichten, dem Pauken von Latein und Mathematik, mit ihrer Erziehung zu
Humanismus nicht vielleicht doch besser war, als die Bildungs- und Schulmodelle
von heute?“ (http://bit.ly/13tkxjL)
Apropos Kompetenzen: Bei diesem Begriff zeigt sich wie
bei anderen eine neoliberalistische Veränderung der Bedeutung. Verstand man
noch vor 20 Jahren unter Kompetenz eine bestimmte Zuständigkeit, so wird heute
Kompetenz mit einer bestimmten Fertigkeit in den Zusammenhang gebracht. Der
DUDEN lässt daher beide Begriffsbestimmungen zu
.
Die Antwort der neoliberalistisch verseuchten
Bildungskonzepte, die auf die in Teil a des Zitates von Düllick reagieren,
liegt gerade nicht in einer vermehrten klassischen Bildung, sondern wohl eher
auf den für Wirtschaft ausgerichteten Kompetenzen. So meint Jochen Krautz, dass
auf Grund des ökonomischen Globalisierungsprozesses ohne Hinterfragen
abgeleitet werde: „Bildung müsse befähigen, sich an diese Herausforderungen
anzupassen, elastisch zu sein und Globalisierung nicht als Bedrohung, sondern
als Herausforderung zu erleben.“ (J.Krautz, Bildung als Anpassung? Das
Kompetenz-Konzept im Kontext einer ökonomisierten Bildung, S.87).Soweit so gut.
Das ließe sich noch mit dem Lernen für das Leben deuten. Jedoch die
Konsequenzen, die gezogen werden (sollen), machen dann den neoliberalistischen
Ansatz überdeutlich. Die Bildung muss ökonomisiert werden: Mehr Wettbewerb,
mehr Effizienz, Tests auch von Privatfirmen, Qualitätsmanagement, Konkurrenz,
Rankings und vieles mehr (ebd.). Bildung wird zum Geschäft.
Der Verdacht liegt daher nahe, dass die gesamte Bildung
nicht nur ökonomisch organisiert werden soll (was nicht effizient erscheint,
unterliegt dem Generalverdacht des Überflüssigseins), sondern auch nur auf die
ökonomische Verwertbarkeit ausgerichtet wird. Der/die Schüler/in soll in die
globalisierte Welt hineinpassen, kompetent an seinem/ihrem Platz stehen und
möglichst das bestehende ökomische System nicht in Frage stellen (können).
Bildung zielt also auf die Anpassung an ökonomische Erfordernisse. Böse gesagt
zielt die Investition in das Humankapital Mensch auf eine ökonomische
Verwertbarkeit. Letztlich dienen auch die von vielen Firmen angebotenen oder
verpflichteten Seminare zur Stärkung der Gruppendynamik, der
Gemeinschaftspflege oder, wie immer es genannt wird, dazu, dass das Team besser
„funktioniert“. Kritikfähigkeit besagt daher nicht, dass ökonomische,
politische oder ethische Zusammenhänge der kritischen Auseinandersetzung wie
noch in den 1970igern Jahren unterliegen, sondern dass der einzelne im System
sich selbst im Blick auf seine Teamfähigkeit der Kritik unterzieht. Es wundert
daher nicht, dass in der Sprache der „Bildungstheoretiker“ hauptsächlich
Begriffe aus der Ökonomie zu finden sind. Wenn der Begriff Solidarität z.B.
überhaupt noch zu finden ist, dann in der Richtung Solidarität mit dem Team,
aber auf keinen Fall mit dem Mitmenschen oder der Natur. Chancengleichheit
und Emanzipation war vor allem das Programm der Linken in den 1970er Jahren. Die
Gesamtschule war und ist bis heute ein heftig umstrittenes Projekt, das
teilweise fast religiöse Züge annahm. War aber in den 1970igern Jahren noch die
Idee, dass die gemeinsame Schule der 6-14jährigen ein Projekt zugunsten der
Schülerinnen und Schüler sein sollte, so entdecken heute auch konservative
Politiker, dass eine gemeinsame Schule einen größeren wirtschaftlich Output
haben könnte. Nicht verwunderlich ist es daher, dass solche Stimmen aus der
Wirtschaft kommen und gerade nicht von
konservativen Gesellschaftstheoretikern.
Dabei hatte Bildung immer einen viel größeren Aspekt als
allein die Wissenserwerbung, Bildung hat etwas mit Werten zu tun. Es geht um die
Sache, aber auch um den Wert im Sinne des mitmenschlichen Handelns (Krautz,
S.89).
Selbstverständlich war Bildung im Sinne des Lernens für
das Leben ausgerichtet darauf, die entsprechend Kenntnisse, Wissen, Fähigkeiten
zu erwerben, die im Leben gebraucht werden, aber doch auch auf die
Wertorientierung ausgerichtet. Klassische Bildung hatte daher nicht einen unmittelbaren ökonomischen
Nutzen, aber war für die Wertorientierung von zentraler Bedeutung. Diese
Wertorientierung der Bildung geht jedoch mit dem Kompetenzgedanken verloren.
Denn „anders als der Qualifikations-Begriff, den er ablöste, meint er somit
nicht allein äußeres, fachlich bezogenes Können. Wenn jemand etwas qualifiziert
ausführt, so macht er gute Arbeit, Arbeit von guter Qualität, die ihn als qualifiziert
erscheinen lässt. Qualifikation bezeichnet also eine fachliche Fähigkeit.
Bezeichnet man denselben Menschen deshalb als kompetent, so verschiebt sich
der Fokus von der fachlichen Qualifikation auf seine Persönlichkeit: Kompetenz
betont die persönliche Fähigkeit“ (Krautz. 91/92). Mit anderen Worten wird in
der neoliberalen Bildung der Mensch total vereinnahmt, indem nicht nur nach
seiner Qualifikation gefragt wird, sondern die entsprechende persönliche
Fähigkeit, sich an ökonomische Strukturen anzupassen, im Blick steht.
Diese schleichende Ökonomisierung findet man allerorten
in der Sprache versteckt: Schlüsselkomptenz, Erstellung von Kompetenzprofilen,
Bildungsdokumentation, Sprachkompetenz etc. Letztlich dient dieses Konzept der
Vereinnahmung der ganzen Person für ökonomische Zwecke.
Es bedarf also der genauen Beobachtung und Analyse
dessen, was mit schönklingenden Begriffen gemeint ist und welche Strategie
hinter solchen Konzepten lauert. Die Sprache zum Thema Bildung in den
Konzepten, die von WTO, EU, OECD, Bologna, PISA-Studie usw. vorgelegt werden,
ist dabei sehr verräterisch. Man muss sie nur zu deuten wissen.
Seneca beklagt wohl nicht zu unrecht, dass die
Philosophenschulen vom Leben nichts wissen wollten, sondern selbstvergessen sich
in Diskussionen um des Kaisers Bart verwickelten. Aber das Lernen für das Leben
umfasst auch mehr als nur die ökonomische Kompetenz, sich in einer
globalisierten Welt anzupassen und zu bewegen. Der kritische Geist ist ebenso
gefragt. Bildung zielt auf die Sachen, auf die Qualifikation und auf die
Werthaltung gegenüber Mensch und Umwelt.
Der Religionsunterricht hat diese Werthaltungen gegenüber
Mensch und Umwelt zum Thema, kritisches
Hinterfragen von ökonomischen Interessen gehört zur Bildung. Die klassische
humanistische Bildung ist zwar Vergangenheit, es ist aber dennoch von
entscheidender Bedeutung zu lernen, wie Werte entstehen, welche Werte dem
Menschen dienen und welche Werte allein im Interesse der Ökonomie liegen.
Hier genau die Sprache zu beobachten, ist ein wichtiger
Beitrag: Soziale Hängematte, Rettungsschirm, Exportweltmeister, freier Markt,
Leistungsträger, schlanker Staat sind Begriffe, die heute oft unreflektiert
verwendet werden. Cui bono, wie der Lateiner sagte. Wem nützen diese
Formulierungen? Wer profitiert und wer kommt unter die Räder?
Auszugsweise veröffentlicht in: Das Wort. Evang. Beiträge zu Bildung und Unterricht, Jahrgang 67, Nr.:2/2013
Auszugsweise veröffentlicht in: Das Wort. Evang. Beiträge zu Bildung und Unterricht, Jahrgang 67, Nr.:2/2013
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